18.01.2013

Winterwelten drinnen und draußen

Winterliche Magie im Garten und im Gewächshaus

Michael Breckwoldt

In dem Roman „Nachtblüte“ des Briten James Hamilton-Paterson wird eine illustre Gesellschaft aus Diplomaten und Honoratioren beschrieben, die sich im ersten Winter nach dem zweiten Weltkrieg abends in einem großen alten Gewächshaus trifft. Dieser Glaspalast hat den Grundriss einer Kirche, der Autor nennt ihn „Tempel der Gartenbaukunst“. Im Zentrum unter der Kuppel wachsen große Palmen, die sich schon am Glasdach reiben. Die Menschen, die mit anbrechender Dunkelheit tief vermummt in ihre Mäntel von draußen hereinströmen, kommen auch wegen der molligen 27 Grad Celsius in das Tropenhaus. Dort begannen sie „sich zu dehnen, langsam, die Hautfarbe kehrte zurück, in Streifen, wie bei einer aufbrechenden Knospe“, heißt es. Man versammelt sich in einem Querschiff des Gebäudes, in dem sich Pflanzen finden, die ausschließlich nachts blühen, „um zu plaudern, das Gesicht in Blüten zu senken, Gerüche einzuatmen. Vielleicht war es nur eine Marotte des Kurators, vielleicht besagte tatsächlich irgendeine wissenschaftliche Theorie, dass grelles Licht das Blühverhalten der Nachtpflanzen störe. Jedenfalls brannte nie elektrisches Licht. Statt dessen, und das trug sehr stark zum sakralen Gesamteindruck bei, brannten zwischen Palmwedeln und Zweigen Kerzen in Wandleuchtern“, schreibt Hamilton-Paterson. Im Zentrum des Romans steht ein junger Mann, der diese künstliche Welt der Tropenpflanzen als Refugium nutzt – als Schutz vor den Wirren des Krieges und die des Lebens ebenso. Literarisch wird die Natur immer wieder gerne als Motiv herangezogen, um die zeitliche Begrenztheit zwanghafter Ordnung zu zeigen. Im Roman zerbricht diese mühselig aufrechterhaltene Welt unter Glas allmählich – eine Metapher dafür, dass sich bestimmte Lebensformen eben nicht dauerhaft konservieren lassen.

Innerhalb der Natur finden sich viele Strukturen, über die der ordnende Blick der Wissenschaft Systeme und Schemata stülpt. Doch hinlänglich, bis ins Detail berechenbar und vorhersehbar ist Natur dadurch noch immer nicht. Sie zeichnet sich eben neben immer wiederkehrenden Formen auch durch eine große und überraschende Dynamik aus.

Das Gros der Menschen liebt die Jahreszeiten, weil sie dem Leben Struktur geben. So wird der Herbst als Zeit der Ernte und der sich feurig verfärbenden Blätter überschwänglich gefeiert. Doch warum kann bloß das falbe Laub nicht bis zum Frühjahr am Baum hängen bleiben und dann gleichsam als Staub zu Boden rieseln? Schon stößt sich unser penibler Ordnungssinn auch an allem, was trocken, dürr und ohne Leben in den Beeten herumsteht, filigrane Samenstände etwa und Gräserbüschel. Da macht man lieber schnell noch reinen Tisch und rasiert alles ratzefatz über dem Boden ab.

Warum bietet man dem Winter nicht einfach mal eine Bühne wie der niederländische Gestalter Piet Oudolf. Er ist unter anderem durch spektakuläre Parkanlagen in London und New York weltberühmt geworden und hat einen Stil geprägt, der auf „das jahreszeitlich bedingte Werden und Vergehen“ eines Gartens setzt. Mit hohen Gräsern und imposanten Stauden schafft er stimmungsvolle Bilder. Ihn interessieren keine nach Farben sortierten Rabatten. Innerhalb der exakt komponierten Pflanzungen reizen ihn vor allem die Formen und Strukturen und wie diese sich allmählich verändern. So sind Knospen, Blätter und Blütenstände die Akteure, die das ganze Jahr hindurch Akzente setzen. „Und nicht zuletzt muss man lernen, die ungeschminkte Schönheit abgestorbener Pflanzen anzuerkennen, die selbst im Zustand der Verwesung immer noch ihren Reiz haben“, schreibt Oudolf im Buch Neues Gartendesign mit Stauden und Gräsern.

Gerade im Spätherbst und Winter entfalten die von ihm gestalteten Anlagen eine ganz eigentümliche Magie. Dann wird der Wind zum Mitspieler und fährt mit Kraft durch das trockene Laub der Gräser. Das matte Licht verfängt sich in den silbrigen Ähren, die noch über allem thronen, und macht sie zu leuchtenden Fackeln. Und manchmal spannen sich zwischen die rauen Stängel der Stauden Spinnennetze, die durch unzählige winzige Tautropfen wie Lichterketten glitzern. Plötzlich, nach einer wolkenlosen Nacht, kann diese wilde magische Stimmung in eine sanfte märchenhafte Szenerie umschlagen. Die bizarr-welke Landschaft ist nun weiß gepudert, von feinen Eiskristallen überzogen und absolut ruhig, so, als wäre die Natur zu einem zauberhaften Gemälde erstarrt. Die Magie solch flüchtiger Momente entfaltet sich am besten, wenn Schnee, Eis und Raureif Strukturen finden, denen sie ihre Mützen überstülpen, Kronen aufsetzen, gefrorene Bärte anhängen und bereifte Röcke überstreifen. So reizvoll können Gärten im Winter sein, wenn man der Naturentfaltung Raum lässt. Dann darf man gerne im warmen Gewächshaus sitzen und die Welt draußen bewundern – egal ob im Kerzen- oder im Sonnenschein.

Zitate aus:
James Hamilton-Paterson: Nachtblüte. Insel Verlag 2002
Piet Oudolf, Noel Kingsbury: Neues Gartendesign mit Stauden und Gräsern. Verlag Eugen Ulmer 2000.