26.06.2013

Lavendelfelder zwischen britischen Milchkühen

Lavendel in England und die Lavendel-Gärtnerei Downderry von Simon Charlesworth

Michael Breckwoldt

Die Provence leuchtet blau. Es sind nicht nur diese endlosen Reihen von Lavendelsträuchern, die dieses Bild hervorrufen. Hinzu kommen das flirrende Silbergrau von Olivenbäumen, die in der Hitze vibrierende Luft, die ohrenbetäubenden Zikadengesänge und der würzige Geruch betörender Aromen.

Wie aber sieht wohl ein Lavendelfeld in Kent, in der südöstlichen Grafschaft Englands, aus? Wer die Bilder der Provence im Kopf hat, wird nach jedem Hügel, nach jeder Kurve und immer dann wenn ein Blick durch die Hecken hindurch möglich ist, gespannt eine violett blau leuchtende Fläche erwarten. Die Vorstellung hat etwas Unglaubliches: ein blühendes Lavendelfelder, das aus einer saftig grünen Landschaft mit braven britischen Milchkühen herausragt. Gibt es so etwas?

Aber sicher! Die britische Gartenkultur ohne Lavendel - das ist einfach undenkbar. Früher als in Frankreich etablierte sich in England ein kommerzieller Lavendelanbau. Schon Königin Elisabeth I., ihre Regentschaft reicht von 1558 bis 1603, war ein Fan dieses mediterranen Duftstrauches. Sie nutzte ihn unter anderem zur Linderung ihrer Migräne und um sich zu parfümieren. Ein Heer von Gärtnern musste also laufend für Nachschub sorgen. So entstanden die ersten Lavendelfarmen. Sie siedelten sich unter anderem in Mitcham an, wo sie mit kalkhaltigen Böden ideale Verhältnisse für die Lavendelkultur vorfanden. Die Nähe zu London - heute ist Mitcham ein südlicher Stadtteil der britischen Metropole - bescherte ihnen zudem kurze Absatzwege. Um 1850 hatte sich der Ort zu einem Zentrum des Kräuteranbaus entwickelt. Das Lavendelöl, das dort gewonnen wurde, war von besserer Qualität als das französische Öl und erzielte am Markt auch deutlich höhere Preise.

Simon Charlesworth ist heute einer der besten Lavendelkenner. Seine Gärtnerei Downderry (www.downderry-nursery.co.uk) liegt in der südenglischen Grafschaft Kent. Auf dem Weg dorthin hebt und senkt sich die Straße über diverse Hügel, sie windet sich um scharfe Kurven und wird fast durchgehend von akkurat geschnittenen Weißdornhecken abgeschirmt - nirgends lässt sich auch nur der kleinste Schimmer Violett ausmachen. Irgendwann ist die Hoffnung auf dieses kleine Farb-Wunder längst der Faszination für die Gegend gewichen. Aus Reflex folge ich schließlich dem Hinweisschild „Downderry nursery". Da geschieht es: Über dem Violett Hunderttausender Blüten scheint die Luft zu flirren. Ein ganzes Feld mit Lavendel taucht die Landschaft in eine unwirkliche Farbe. Doch im Unterschied zur Provence wirkt alles viel frischer und satter.

Typisch englisch ist auch die haushohe rote Ziegelwand mit den hellen Kalkausblühungen, die mit dem Lavendelblau zu einem harmonischen Farbgemälde verschmilzt. Welche andere Nation hat sich je in dieser verschwenderischen Vielfalt kunstvolle Mauern geleistet, die einfach nur dazu da waren, das heranwachsendes Obst und Gemüse zu beschützen. Es liegt ja auf der Hand, dass die Früchte im Windschatten süßer und der Salat rascher gedeihen. Diesen etwa 5000 Quadratmeter großen, alten Küchengarten, der ehemals zum Herrenhaus in der Nachbarschaft gehörte, konnte Simon Charlesworth samt der einen Hektar großen Außenfläche kaufen - ein Eldorado, vor allem für die lavendelblauen Duftsträucher. 

Jedes Jahr werden in der Gärtnerei rund 120000 Lavendelpflanzen vermehrt, die Hälfte davon im Frühjahr. Die Stecklinge wachsen in einem speziell temperierten Glashaus heran, zunächst auf erwärmten Tischen, die das Sprießen feiner Wurzeln fördern. Tagsüber gaukeln laue 20 Grad den jungen Pflanzen einen mediterranen Frühling vor. Nachts müssen sie sich mit 10 Grad zufrieden geben. Nach sechs Wochen kommt der Nachwuchs in Töpfe, wird an der Spitze gekappt, damit er buschig weiter wächst und nach weiteren sechs Wochen ist er fertig für den Verkauf.

Betritt man die Gärtnerei durch das große Holztor in der Mauer, erblickt man die bezaubernden Schaubeete. Diverse Lavendelreihen gehen strahlenförmig von einem Mittelpunkt aus. Hier präsentiert Simon Charlesworth einen Großteil der rund 350 Lavendelvarietäten, die er vertreibt. Die echten Schätze verwahrt er dagegen in einem alten Gewächshaus, das an der hohen Mauer lehnt und noch aus den Zeiten des ehemaligen Küchengartens stammt. Hier befinden sich zum Beispiel vier Exemplare der in der Natur seltenen Art Lavandula citriodora. Ein befreundeter Wissenschaftler hat die Pflanzen vor einigen Jahren aus dem Königreich Oman vom persischen Golf mitgebracht. Das Sammeln und Vergleichen von Lavendel ist Simons eigentliche Leidenschaft. Daher ist Downderry ist zu einem Zentrum weltweit seltener Lavendelarten geworden und beherbergt auch die National Plant Collection of Lavender. Es sollen sich immer wieder Franzosen dorthin verirren, die über diesen Lavendelreichtum im Herzen von England staunen und nach Besonderheiten Ausschau halten.