07.02.2014

Die neue Lust am Gärtnern

Gesund und fit mit dem eigenen kleinen Gemüsegarten

Michael Breckwoldt

Haben Sie es schon einmal selbst probiert? Haben Sie schon einmal Ihr eigenes Gemüse herangezogen? Es ist ganz einfach: Tütchen aufreißen, Samen in eine Erdrille gleiten lassen und dann die Erde darüber glatt streichen. Man wartet gespannt, bis sich die ersten grünen Spitzen durch die Krume bohren und erlebt ein Hochgefühl, wenn schließlich fertige Radieschen und Möhren herausgezogen werden. Zugegeben, es gibt einfachere Wege, um an Gemüse heranzukommen. Doch dann fehlt das Kribbeln, diese Mischung aus Lust an der Selbstversorgung und Erzeugerstolz. Es ist eine großartige Erfahrung.

Einer, für den dieses Gefühl zeitlebens wichtig war, ist der britische Star-Designer Terence Conran, Gründer der Möbelhausketten „Habitat" und „Conran Shop" sowie Betreiber einer Reihe vorzüglicher Restaurants. Schon als Kind ließ er sich von der Faszination seiner Eltern, Gemüse selbst heranzuziehen, anstecken. Später lernte er das außergewöhnliche Aroma von frisch geernteten Lebensmitteln zu schätzen. Daher unterhält er noch heute einen eigenen weitläufigen Küchengarten auf seinem Anwesen Barton Court, knapp 100 Kilometer westlich von London - mit allem Drum und Dran. Ein großes Glashaus dient zur Anzucht der Setzlinge und zur Kultur aromatischer Tomaten. Netze schützen das Beerenobst gegen die Vögel und Buchsbaumhecken geben den Gemüsebeeten einen grünen Rahmen.

Vor Jahren zeigte Conran dann, dass die Selbstversorgung auch mitten in der Stadt funktioniert. Damit stieß er einen Trend an, der sich gerade vollends entfaltet. Seine Ideen präsentierte er schon 1999 auf der Chelsea Flower Show, dem weltweit renommiertesten Gartenfestival in London, mit der Gestaltung eines Dachgartens. Dort wuchs alles, was das Herz begehrt: Erdbeeren, Spargel, Kartoffeln, Auberginen, Tomaten, Zucchini, viele Salatsorten, Artischocken, fast alle Obstarten und die wichtigsten Kräuter. 46 jeweils quadratmetergroße Behälter aus verzinktem Stahl bildeten das graphische Raster kleiner Beete.

Was der Designer in seinem Wettbewerbsbeitrag für die Show großzügig bemessen hatte, ist problemlos auch auf kleine Flächen übertragbar. Seine Vorstellungen präzisierte Conran im Buch „Chef's garden. Fresh produce from small spaces". Das Resümee daraus: „Die Selbstversorgung macht nicht nur viel Spaß. Sie verleitet auch dazu, Sorten auszuprobieren, die kein Supermarkt führt. So kommt man zu völlig neuen Geschmackserlebnissen".

Das ist die Sichtweise eines Gourmets. Zudem weiß Conran als Restaurantbetreiber, wie schwer es für die Branche ist, absolut frische Lebensmittel mit herausragendem Aroma zu bekommen. Wachsen diese Lebensmittel vor der eigenen Haustür, darf man sich fühlen wie Gott in Frankreich.

Michelle Obama, die Gattin des amtierenden amerikanischen Präsidenten, verfolgte andere Ziele, als sie 2009 einen Teil des gepflegten Rasens am Weißen Haus umbrechen ließ, um Salat, Kohl, Bohnen und anderes Gemüse mithilfe tatkräftiger Schulkinder anzupflanzen. Der First Lady ging es nicht Gaumenfreuden sondern um die Gesundheit der Bevölkerung. Etwa 120 Mrd. Doller kosten den amerikanischen Staat jedes Jahr allein ernährungsbedingte Krankheiten wie Fettsucht, Diabetes, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz. Die Anfälligkeit dafür nimmt rapide zu, wenn Kinder falsch ernährt werden. Obamas Appell richtet sich daher an die Eltern. Sie sollen dafür sorgen, dass ihr Nachwuchs etwas Vernünftiges zu essen bekommt, also vor allem frisches Gemüse. Ein Garten zur Selbstversorgung ist dafür äußerst hilfreich.

In vielen US-amerikanischen Städten seien regelrechte Lebensmittelwüsten entstanden, sagt Michelle Obama im Juni 2009 anlässlich des ersten Erntefestes im Weißen Haus. Frische und gesunde Nahrung wäre nicht mehr zu bekommen, weil Geschäfte nur Convenience Food anbieten würden. Daher sei sie froh über einen neuen Trend: Viele amerikanische Kommunen stellen den Bürgern Land zur Verfügung, das diese zum Anbau von Obst und Gemüse nutzen dürfen. Diese so genannte Community Gardens würden mit großer Begeisterung angenommen.

Auch in Deutschland werden inzwischen städtische Brachflächen in Selbstversorgergärten umgewandelt. Das bekannteste Projekt befindet sich in Berlin Kreuzberg. Die beiden Initiatoren, Robert Shaw und Marco Clausen, setzen dort in den Prinzessinnengärten der tristen städtischen Realität verschmutzter Böden, versiegelter Flächen und kurzfristiger Pachtverträge ein Konzept mobiler Beete entgegen. Zusammen mit vielen Helfern ziehen sie Gemüse in Kunststoffkisten heran. Ein simples Gewächshaus bietet mehr als 20 verschiedenen Tomatensorten, die in ausgemusterten Reissäcken wurzeln, Schutz gegen Regen. Die Küche eines Cafés ist in einem alten Schiffscontainer untergebracht. Dort werden die Ernten jeden Tag zu Leckereien verarbeitet.

Am Abend nach der Arbeit kommen viele Leute vorbei, sitzen um die Biertische, plaudern, machen Musik, essen Pizza mit frischem Gemüsebelag oder träumen einfach unter jungen Pappelschösslingen in den Sommerabend hinein, während das Zirpen der Grillen den Autoverkehr in unwirkliche Fernen drängt (mehr unter prinzessinnengarten.net).

Haben Sie es schon einmal probiert? Es ist ganz einfach, Gemüse heranzuziehen. Es braucht nicht viel: Eine Kiste, etwas Erde und Saatgut (einfach zu beziehen unter www.gartenundgabel.com). Wer dann noch Platz für ein kleines Gewächshaus hat, ist natürlich klar im Vorteil. Denn so gelingen die schmackhaftesten Tomaten.