20.10.2014

Warum alte Apfelsorten häufig gesünder sind als Neuzüchtungen

Alte Obstsorten aus lokalem Anbau bereichern unser Angebot

Michael Breckwoldt

„An apple day keeps the doctor away." Das Sprichwort wurde vor rund 100 Jahren populär, als bekannt wurde, wie gesund Äpfel sind. Damals hatten die Menschen noch viele Obstbäume in ihren Gärten, um sich selbst zu versorgen. Äpfel im Laden waren Luxusartikel. „Heute ist preisgünstiges Obst überall zu kaufen und dabei bleibt die Vielfalt auf der Strecke", sagt Meinolf Hammerschmidt. Der Gärtnermeister aus der Nähe von Flensburg sammelt seit fast 30 Jahren alte Obstsorten. Darunter sind allein mehr als 700 verschiedene Varietäten vom Apfel, etwa der walzenförmige Prinzenapfel „Maren Nissen", den ein großes Kerngehäuse auszeichnet, das klötert, wenn man es schüttelt. Und der gefurchte „Danziger Kantapfel" mit dunkelroter Schale sowie der klobige „Jakob Lebel", der besonders gut für Apfelmus taugt. Diese Sorten sind alle schon fast 200 Jahre alt und sie haben eines gemeinsam: Der Handel lässt sie links liegen. Das hat nichts mit ihrem Geschmack zu tun, der teils vorzüglich ist, sondern mit den Normen und Marktmechanismen. So finden sich im Supermarkt nur noch rund ein halbes Dutzend Apfelsorten und die müssen vor allem eine bestimmte vorgegebene Form und Größe haben sowie gut lager- und transportfähig sein.

In den letzten Jahren aber feiern viele dieser alten Apfelsorten ein Comeback. Das hat mit den außergewöhnlichen Aromen zu tun, auf die viele Feinschmecker mittlerweile schwören. Hammerschmidt hält den Geschmack des „Gravensteiner" nach wie vor für unerreicht. Regionale Sorten sind zudem besser an die lokalen Klima- und Bodenverhältnisse angepasst. Die Gegend, aus der die Sorte stammt, klingt häufig schon im Namen an, wie beim „Finkenwerder Herbstprinz", der seit einigen Jahren im Hamburger Umland wieder seiner gesunden schmackhaften Früchte wegen für Furore sorgt. Eckart Brandt, Obstbauer aus dem Alten Land, ist dem Ursprung dieser Sorte auf den Grund gegangen. In seinem Buch Brandts Apfellust schreibt er: „Der Finkenwerder Herbstprinz ist nicht das Produkt einer gezielten Züchtung, sondern ein ‚Zufallssämling', zufällig aus dem Kern eines weggeworfenen oder vom Baum gefallenen Apfels entstanden." Entdeckt wurde diese Sorte vom 1872 geborenen Carsten Benitt, der in Finkenwerder vor den Toren der Hansestadt einen Obsthof betrieb. Von ihm hat dieser Zufallsfund seinen Namen. Die große Stunde des Apfels schlug aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus einer Vielzahl regionaler Sorten wurden damals die besten ausgesucht und zum Anbau empfohlen. Darunter befand sich auch der Finkenwerder Herbstprinz. Er führte jahrelang die Hitliste der besten Äpfel an und landete auch am häufigsten in den Erntekörben.

Erst die Integration des deutschen Obstmarktes in die Europäische Union Ende der Fünfzigerjhare die damals noch EWG, also Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hieß, machte der Sorte den Garaus. „Für regionale Perlen war da kein Platz mehr", klagt Brandt. „Stattdessen trat der ‚Golden Delicious' seinen Siegeszug an." Entscheidend war, dass die von nun an favorisierten Apfelsorten auf kleine Baumformen veredelt und in allen Mitgliedsstaaten der EU angebaut werden konnten.

Die geschmackliche Komponente und erst recht der gesundheitliche Wert eines Apfels finden im internationalen Handel nur zweitrangig Berücksichtigung. Vor diesem Hintergrund jedoch können alte, heimische Sorten mit ihren Vorzügen punkten. Wie neue Forschungen zeigen, sind diese Oldies auch für Menschen verträglich, die sonst auf Äpfel allergisch reagieren. Offenbar spielen dabei die entzündungshemmenden Polyphenole eine Rolle: Pflanzenstoffe, die Freie Radikale neutralisieren und die Körperzellen gegen chronische und akute Erkrankungen sowie gegen den Alterungsprozess schützen. Polyphenole sind vor allem in alten Apfelsorten enthalten, die vor 1950 gezüchtet wurden.

Außerdem kommen Apfelallergiker oft besser mit Früchten zurecht, die aus dem Streuobstbau stammen, also von Obstwiesen, auf denen ausschließlich große Baumformen zum Einsatz kommen. Auch hier gibt es vorrangig alte Regionalsorten, die gegen viele Pflanzenkrankheiten gewappnet sind und deshalb nicht gespritzt werden müssen.

Die alten Sorten haben einfach Charakter. Sie sind nicht so stromlinienförmig wie die gängigen Handelsfrüchtchen namens „Elstar", „Gala", „Jonagold" und Co. Der Markt braucht diese unverkennbaren Originale.

Mehr zum Obstmuseum von Meinolf Hammerschmidt unter: http://www.alte-obstsorten.de

Buchtipp: Eckart Brandt: Brandts Apfellust. Alte Obstsorten neu entdeckt. Für Garten und Küche. München 2006.