31.03.2015

Wie sich Blüten früh im Jahr gegen Fröste schützen

Blüten und Kälte – Selbstschutz bei Hamamelis / Zaubernuss, menschliche Hilfe bei Obstbäumen

Michael Breckwoldt

Die heimischen Frühlingsboten, die sich mit ihren Blüten schon im März ans Licht wagen, sind von Natur aus mit Frostschutzmitteln ausgestattet. Wenn das Thermometer noch einmal drastisch unter null Grad fällt, verändert sich die Salzkonzentration in den Zellen, so dass ihnen der scharfe Zugriff des Forstes nichts anhaben kann. Sogar zarte Blüten sind dadurch relativ gut geschützt, so dass sie durchschnittlich tiefe Temperaturen unbeschadet überstehen.

Der zierlich wachsenden, strauchförmigen Zaubernuss (Hamamelis), hat die Natur dagegen eine eigene Leitzentrale mitgegeben, die in kritischen Fällen die erforderlichen Abläufe zuverlässig koordiniert. Denn die in Asien beheimateten Arten drängt es schon ab Januar zur Blüte - obgleich die gelben oder orangeroten Fransen, die wie Lametta von den kahlen Zweigen herabhängen, nicht gerade aussehen wie richtige Blüten. Die bizarren Puschel sind einzigartig. Dicht an dicht senden sie ihre Wir­sind­bereit­zur-Bestäubung­Botschaft an alle beflügelten Insekten, die sich mitten im Winter in ihre Nähe verirren. Selbst plötzlich hereinbrechende klirrende Kälte kann dem zarten Zauberkostüm nichts anhaben. Die langen, schmalen, hauchdünnen Blütenblätter rollen sich nämlich zu den Knospenschuppen hin zusammen und schützen so wie eine Packung Holzwolle den empfindlichen Fruchtknoten. 

Steigen die Temperaturen über Null, machen sich die kleinen Fahnen wieder lang und wedeln verheißungsvoll bei jedem Luftzug. Um ganz sicher viel Aufmerksamkeit zu erregen, hat sich das Blütenkleid kräftig parfümiert. Dieser Mechanismus trotzt bis zum April fast allen Minusgraden. Bis dahin sind die Blüten bestäubt und das Laub ist ausgetrieben. Die Blätter sehen denen der Haselnuss ähnlich. Daher trägt der Stauch seinen Namen - und natürlich seiner außergewöhnlichen Blüten wegen, die wie von Zauberhand dem Frost ein Schnippchen schlagen.

Andere Gewächse brauchen die rettende Hilfe des Menschen gegenüber überraschenden Frosteinbrüchen. Im April eines jeden Jahres erblüht die Zukunft einer ganzen Branche. Kirschen, Pflaumen, Äpfel und Birnen sprengen ihre Knospen und das erfüllt die Obstbauern mit Hoffnung auf reiche Erträge. Wovon sie jetzt bitte verschont bleiben mögen, sind frostige Frühlingsnächte. Denn schon wenige Grade unter Null können den zarten Blüten den Garaus machen. Und sobald Fruchtknoten und Staubgefäße Schaden nehmen, fällt die Ernte aus. Oft entscheidet eine einzige Nacht darüber, ob das Jahr erfolgreich oder ruinös für den Berufsstand endet.

Wie gut, dass die Obstbauern dieser Bedrohung nicht völlig machtlos ausgeliefert sind. So teilt ein Arbeitskalender die Blühphasen in zehn verschiedene Stadien, vom Knospenaufbruch über Mausohrstadium, Vollblüte bis zur Kurznachblüte. Jedes benötigt spezielles Augenmerk und Sonderbehandlung. Jedes Blühstadium kann der Kälte unterschiedlich gut widerstehen. Neben dem Bett der Bauern lauert daher etwa drei Wochen lang eine schwarze Box, die losschrillt wie eine Katze, der man auf den Schwanz tritt, wenn draußen die Temperaturen dramatisch fallen. Frostalarm! Dann schlüpfen sie in ihre Arbeitsklamotten und eilen zu den Plantagen, wo Reihen weiß blühender Baumkronen in klarer, mondheller Nacht leuchten, als wäre frischer Schnee auf sie gefallen.

„Die Zeit der Blüte ist die alles entscheidende Phase im Jahr", sagt Julius Schuldt, Obstbauer im südlich von Hamburg gelegenen Alten Land, einem der größten Anbaugebiete Europas. Wer die verschläft, der kann rund 80 Prozent seiner Ernte abschreiben. In diesen Wochen wacht er nach dem Weckalarm nächtelang in einem alten Bauwagen und entscheidet vor Ort das weitere Vorgehen. Bleibt der Himmel wolkenlos, die Luft unbewegt und wird die kritische Temperaturmarke unterschritten, setzt der 51­Jährige die Frostschutzanlage in Gang. Tausende von Düsen besprühen daraufhin seine zehn Hektar große Plantage mit einem heftigen, doch sehr feinen Regen, der an den Pflanzen sofort gefriert und im selben Augenblick Wärme freisetzt. Eis ist nämlich energieärmer als Wasser. So paradox es klingt: Diese kleinen Energieschübe, ausgelöst durch fortlaufend gefrierendes Wasser, retten die Blüten vor dem Frosttod.

Wer Pflanzen bei sich zuhause vor plötzlich hereinbrechender Kälte schützen möchte, muss allerdings keinen so großen Aufwand betreiben. Vlies oder ein leichtes Tuch, das über die Blüten gelegt wird, sorgt meist schon für die nötige wärmende Hülle.