13.10.2015

Gegen Giersch ist doch ein Kraut gewachsen

Wie man Giersch in den Griff bekommen kann

Michael Breckwoldt

Von oben betrachtet, erscheint Giersch ganz harmlos. Was könnte dieses saftig grüne Kraut mit seinen hübschen dreizähligen Fiederblättern schon Arges anrichten? Unterirdisch hingegen breitet sich ein dichtes Geflecht spitzer Wurzelausläufer gefährlich in alle Richtungen aus, unterwandert Wege und infiltriert Blumentöpfe. Für jede mit Akribie geplante Pflanzung bedeutet dieses Guerilla-Gewächs das Ende. Denn die langen, weißen Wurzelausläufer dringen gerne auch mitten ins Herz der Zierpflanzen vor und sie lassen sich nach einer Invasion nie mehr aus den Tiefen eines fertig gestalteten Beets herausklauben. Jedes abgerissene Fitzelchen, das von einer Wurzel im Boden zurückbleibt, ist Ausgangspunkt eines neuen Gierschgeflechts. Dem geplagten Gärtner bleibt nur die radikale Neuanlage: Er muss alle Gewächse herausnehmen und aus deren Ballen sowie der gesamten Erde jedes Stückchen Giersch herausfischen.

Für den Gärtner zählt dieses Wurzelunkraut zu einer seiner größten Plagen. Für einen von der Gicht geplagten Schmerzpatienten kann es dagegen große Linderung bedeuten. Der botanische Name Aegopodium podagraria erinnert zumindest noch an diese ruhmreiche Vergangenheit. „Podagraria“ heißt nämlich „die Gicht heilend“. Früher wurden frische zerdrückte Pflanzen gegen das Leiden als Umschlag auf die Füße gelegt. Auch als schmackhaftes Wildgemüse wird Aegopodium gerade wiederentdeckt. Er sei eines der „vielseitigsten Kräuter: Als Suppengemüse, als Salat oder in Kombination mit anderen essbaren Wildpflanzen, ist er zu empfehlen“, hieß jüngst eine Empfehlung des Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sollte man vielleicht doch einige Pflanzen in den Gemüsegarten umquartieren, um stetig frischen Nachschub zu haben? Oder ist es ein zu großes Wagnis, Giersch, der nach der Anordnung seiner Blätter auch Geißfuß heißt, mit anderen Augen zu betrachten?

Der Gartenarchitekt Wilfried Lichey aus Dessau hat sich getraut und so kam er auf gänzlich neue Ideen. „Giersch sieht doch eigentlich gar nicht so übel aus“, befand er zunächst. Der immense Aufwand, ihn auf großen Flächen auszumerzen, sei völlig überflüssig. Viel besser könne man das gestalterische Potenzial der Pflanze nutzen. Bei einem Kunden sah er die Möglichkeit dazu. Zunächst umzingelte Lichey die Gierschfläche mit einer Wurzelsperre.

Dazu wurde ein 30 Zentimeter breiter Streifen Teichfolie senkrecht in den Boden eingegraben. Darauf errichtete der Architekt eine Natursteinmauer, die zugleich die optische Trennung zu anderen Gartenteilen vornimmt. Schließlich kamen Sträucher mit roten Blättern, wie der Perückenstrauch Cotinus coggygria „Royal Purple“ und der Holunder „Black Beauty“ mitten in den Wildwuchs hinein. Dieser durfte sich nun in seinem Gehege ungezügelt ausbreiten. Das dunkle Laub der Sträucher bildet zur weißen Gierschblüte im Sommer einen schönen Kontrast. Die verschiedenen Gewächse ergänzen sich und kommen sich nicht in die Quere. Nach der Blüte muss das Kraut nur zurückgeschnitten werden, damit der Same nicht in andere Gartenteile auswandert.

Die Briten haben die Grenze zwischen Un- und Zierkraut ohnehin schon längst niedergerissen. Dort gehört es fast zum guten Ton, mindestens einen Topf mit Aegopodium podagraria „Variegatum“ vor dem Haus zu präsentieren. Dieser Giersch mit weiß-grün gemusterten Blättern verblüfft regelmäßig einige Besucher vom Kontinent. Wie kann man nur dieses Unkraut schön finden? Die Briten können es, wie man sieht. Mittlerweile bieten auch hiesige Gärtnereien diese besondere Variante zum Kauf an.

Wo Grünfinger ein wenig Wildwuchs im Garten dulden, kann Giersch auch in Schranken gehalten werden, wenn ihm robuste Partner zur Seite gestellt werden. Frauenmantel etwa kann Paroli bieten. Er behauptet sich sogar gegen die hartnäckigen, unterirdischen Wurzelausläufer. Pflückt man im Frühjahr einmal die Blätter des Giersch zwischen der Staude heraus, fehlt dem Unkraut die Kraft zu einem zweiten Austrieb. Mit der Zeit wird es dann zwischen dem kompakten Frauenmantel untergehen. Elfenblumen wie Epimedium x perralchicum 'Frohnleiten' können sich ebenfalls gegen das Wurzelunkraut behaupten. Sie bilden mit ihren wintergrünen Polstern dichte Riegel, die den Giersch sogar allmählich zurückdrängen.

Wer sich trotzdem nicht mit dem Kraut anfreunden möchte, dem bleibt immer noch die chemische Keule. Das Mittel „Finalsan GierschFrei“ der Firma Neudorff führt einen Doppelschlag gegen das Unkraut. Pelargonsäure, eine aus dem Rapsöl gewonnene Substanz, verätzt die Blätter. Ein zweiter in dem Mittel enthaltener Wirkstoff mit Namen Maleinsäurehydrazid wird schon seit gut 150 Jahren auf Lagerkartoffeln gesprüht, um deren frühzeitiges Keimen zu verhindern. Er dringt bis tief in die Wurzeln des Giersch vor und stoppt deren Wachstum. Empfohlen wird eine zweite Behandlung nach etwa zwei Wochen, spätestens aber, sobald wieder frisches Grün keimt. Denn das Kraut kann sich zuerst noch aus eingelagerten Reservestoffen regenerieren. „In drei Monaten konnten wir den Gierschbesatz einer Fläche um 80 Prozent vermindern“, so eine Neudorff-Sprecherin. Allmählich erlischt also die Lebenskraft der Pflanzen, wenn sie daran gehindert werden, übers Laub neue Energie zu tanken. Schwierig wird es, wenn Giersch zwischen anderen Zierpflanzen emporschießt. Das Mittel muss nämlich versprüht werden und die Oberseite des Unkrauts gänzlich benetzen. Nachbarpflanzen jedoch dürfen von dem Sprühnebel nichts abbekommen. Am besten stülpt man daher einen offenen Zylinder aus Pappe oder fester Folie über das zu behandelnde Unkraut und nebelt es darin kräftig ein.