19.11.2015

Die Natur spricht vielsagend

Biokommunikation – wie Pflanzen sich austauschen, und was sie wahrnehmen

Michael Breckwoldt

Tomaten, die durch Streicheleinheiten und guten Zuspruch fit bleiben, Kräuter, die sich Signale zuraunen, wenn Schädlinge im Anmarsch sind, und Rebstöcke, die nach Beschallung mit klassischer Musik ihre Erträge steigern – was ist los in der Pflanzenwelt? Oder besser, was ist los mit der Naturwissenschaft, die derlei für möglich hält? Die erwähnten Phänomene gehen auf seriöse Beobachtungen zurück, die von verschiedenen wissenschaftlichen Teams genauer unter die Lupe genommen werden.

Bahnt sich da eine Art Liaison zwischen dem Kraut und der Krone der Schöpfung, dem Menschen, an? Zumindest scheint es mittlerweile unzweifelhaft, was schon die US-Amerikaner Peter Tomkins und Christopher Bird vor 30 Jahren in ihrem Buch Das geheime Leben der Pflanzen beschrieben: Pflanzen reagieren wie Menschen. Sie haben Gefühle und sogar ein Erinnerungsvermögen, können optische und akustische Eindrücke wahrnehmen und zwischen Harmonien und Dissonanzen unterscheiden.

„Knapp ein Drittel der Deutschen spricht angeblich mit den Wohnzimmergewächsen“, schrieb unlängst der Spiegel. Auch das Grün selbst scheint sich angeregt zu unterhalten. „Das ganze Flüstern, Säuseln und Wispern zwischen den Blättern und Stängeln“ – für den Ökologen Ian Baldwin, Forscher am Max-Planck-Institut in Jena, sei das eine Art linguistischer Offenbarung, heißt es im Hamburger Magazin weiter. Doch dazu später mehr.

Zu einer linguistischen Offenbarung ganz anderer Natur wurde der Grünwuchs noch vor mehr als 250 Jahren für den Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe. Man denke an sein Gedicht Mailied: „Wie herrlich leuchtet / mir die Natur! / Wie glänzet die Sonne! / Wie lacht die Flur! / Es dringen Blüten / Aus jedem Zweig / Und tausend Stimmen / Aus dem Gesträuch“. Während der Dichter sich als 20-Jähriger am Hof der Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt mit natur- und literaturbegeisterten Freunden an schönen Tagen schon einmal nachts im Wald herumtrieb und Bäume umarmte, spiegelt sich die Gefühlswelt seiner Romanfigur Werther in überschwänglicher Naturmetaphorik. In Dichtung und Wahrheit schreibt Goethe später darüber: „Gewiss, es ist keine schönere Gottesverehrung als die, zu der man kein Bild bedarf, die bloß aus dem Wechselgespräch mit der Natur in unserem Busen entspringt“. In der Literatur des 18. Jahrhunderts spielten Naturstimmungen häufig eine wichtige Rolle.

Ein Zeitgenosse Goethes, der Kieler Professor Christian Cay Lorenz Hirschfeld glaubte an die Wirksamkeit dieser Stimmungen. Darauf baute er seine Gartentheorie, in der er unter anderem beschreibt, welche Gefühle unterschiedliche Naturszenen hervorrufen können. So habe eine hügelige Landschaft „mehr Freiheit, Heiterkeit und Anmuth als die Ebene“. Auf ihren Gipfeln gewähre sie „der Seele ein angenehmes Gefühl der Erhebung“. Ganz anders dagegen die Eindrücke im Gebirge: Steilwände, schroffe Abgründe und die Unzugänglichkeit seien fähig, „Erstaunen, Ehrfurcht, Schrecken und Schauder einzuflößen“. Hirschfeld entwarf mit seiner Theorie Regieanweisungen für den Landschaftsgärtner, dem es dann oblag, die Naturszenen im Kleinen nachzubauen. Die Parkbesucher sollten wie bei einem Theaterbesuch ein Wechselbad der Gefühle erleben.

Spricht die Trauerweide demnach zu uns, wenn ihre Zweige wie ein Schleier den Blick versperren? Oder der Apfelbaum, dessen blühende Krone uns im Frühjahr fröhlich stimmt? Oder ist das alles nur eine Frage der Psychologie? Der Philosoph Gernot Böhme ergreift rund 200 Jahre später Partei für den Kieler Professor: In Hirschfelds Theorie, so Böhme anerkennend, „wird die Objektivität oder sagen wir Quasiobjektivität von Stimmungen anerkannt, das heißt also die Tatsache, dass beispielsweise die Melancholie eines Abendhimmels nicht die Projektion meines inneren seelischen Zustandes ist, sondern eine Atmosphäre, in die ich hineingeraten kann und durch die ich gestimmt werde.“

Anders herum können Pflanzen offenbar sogar wahrnehmen, was wir von ihnen wollen. Nach Manfred Hoffmanns Beobachtungen bringen Tomatenpflanzen, die mit Liebe behandelt werden, höhere Erträge und sind insgesamt gesünder, als solche, denen man neutral gegenübersteht. Der Professor für landwirtschaftliche Verfahrenstechnik an der FH Weihenstephan hat darüber hinaus eine Reihe von Belegen für sogenannte Biokommunikation gesammelt. Verbürgt ist der toskanische Winzer, der seinen Rebstöcken Mozart, Händel und Tschaikowsky vorspielt und damit qualitativ hochwertigere Trauben erzeugt als seine Nachbarn – ein Phänomen, das nun ein naturwissenschaftliches Institut in Mailand genauer beleuchten will.

Die Jenaer Max-Planck-Forscher Ian Baldwin und Wilhelm Boland haben entdeckt, dass Pflanzen „hören“ können, wenn ihre Artgenossen durch Schädlingsbefall in Not geraten. Zur Abwehr verfügt der Grünwuchs über ein ausgeklügeltes System vielseitiger Strategien. Wird etwa der Wilde Tabak von einem Heer saugender Insekten überfallen, reichert er das Nikotin in seinen Blättern bis zu einer hochgiftigen Konzentration an. Gleichzeitig sendet er Duftstoffe an die Umgebung. Andere Tabakpflanzen nehmen diese wahr und produzieren ebenfalls vermehrt Nikotin. Tauchen allerdings Tabakschwärmer auf, die gegen das Gift immun sind, wird ein alternativer Abwehrstoff produziert, der den gefräßigen Raupen die Verdauung ruiniert. Limabohnen beherrschen noch einen anderen Trick: Sie sondern duftenden Nektar ab, der die Feinde ihrer Plagegeister herbeiruft.

Manchmal reichen dann schon minimale biochemische Veränderungen der Inhaltsstoffe, um einem Angreifer den Appetit zu verderben. Voraussetzung dafür ist die rechtzeitige Warnung. Mittlerweile arbeitet das Forscherteam aus Jena schon daran, die Duftvokabeln, aus denen die Hilfesignale bestehen, zu isolieren. Sie sollen den Landwirten und Gärtnern als biologische Schädlingsbekämpfung nutzbar gemacht werden. Mit Erstaunen mussten sie allerdings feststellen: Durch Züchtung optimierte Kulturpflanzen haben es weitestgehend verlernt, um Hilfe zu rufen. So müssen sie auf die SOS-Signale der wilden Artgenossen zurückgreifen.