25.01.2016

Herrschaftliche Frühlingsgefühle

Michael Breckwoldt

Draußen ist es frostig kalt. Tiefer Winter. Hätte man ein beheizbares Glashaus, könnte man jetzt schon die ersten Frühlingsgefühle erleben – vor allem an sonnigen Tagen, so wie die Comtesse de Nicolay. Wir besuchten die Gräfin vor einigen Jahren in ihrem Renaissanceschloss an der Loire. Sie schlang für uns die Küchenschürze um ihre schlanken Hüften und kochte die Früchte aus ihrem herrschaftlichen Nutzgarten zu Marmelade und Gelee ein. Ab September hingen die Bäume zum Bersten voll davon. Dann kam die jüngste Tochter, Comtesse Margot, zum Wochenende hereingeschneit und pflückte nach Kräften mit. Die gefüllten Körbe wurden in die altertümliche Küche im Untergeschoß des Schlosses gekarrt, wo schon die Feuer unter den geißeisernen Herdplatten loderten. Bald dampften die Kupferkessel, der eingekochte Fruchtsaft ran in blitzblanke Gläser und ein süßer Duft zog in die feinen Wohngemächer.

Wir kamen damals in diese angenehme Beobachterrolle, weil wir für ein Magazin eine Geschichte über die gräfliche Garküche und den Potager des Schlosses machten. Die Gräfin bat uns zudem im barocken Speisesaal zu Tisch, den die Loire-Touristen in der Regel nur hinter einer Kordel aus rotem Samt stehend bestaunen dürfen. Ein Diener in Livree servierte dort die erlesene Kost, die frisch im Garten geerntet in der Schlossküche zu herrlichen Menüs verarbeitet wurde.

So standesgemäß es im Schloss auch zugeht, im Küchengarten zählt allein das, was schmeckt und was das Jahr über für eine reich gedeckte Tafel sorgt. Diverse Salate, Sauerampfer, Rhabarber und Meerkohl liefern im Frühling zuverlässige Ernten, später im Jahr sind es Kürbisse und viele verschiedene Früchte. „Wir haben die leckersten Tomaten hier“, erzählt die Comtesse. „Von den vielen Sorten, die wir ausprobiert haben, dürfen nur die bleiben, die uns am besten geschmeckt haben.“ Der weitläufige Potager schmiegt sich in den Schutz der alten Befestigungsmauern des angrenzenden Städtchens. In seiner Mitte prangt ein Gewächshaus, eher noch eine kleine Orangerie von altertümlichem Charme. Im Sommer werden dort Feste gefeiert, im Winter bietet das Gebäude Unterschlupf für einige Zitrusgewächse – und eben auch die Comtesse, die gerne den Raum aufsucht, wenn Sonnenlicht ihn durchflutet.

Orangerien entstanden zuerst im 16. Jahrhundert. Es waren gemauerte Gebäude mit großen, nach Süden ausgerichteten Fenstern. Hier verbrachten die exotischen Gewächse den Winter. Kunstvoll geschmiedete Glaskuppeln erhielten Gewächshäuser erst im 19. Jahrhundert, nachdem Ingenieure das Problem gelöst hatten, große Dachflächen mit Glas zu überspannen. Die Orangerie von Versailles zählte mit fast vierhundert Metern Länge zu den größten der Welt. Ihr Erbauer, Ludwig XIV., hatte sich Orangenbäumchen wegen ihres süßen Duftes auch in seinen Wohngemächern und Festsälen gewünscht. Und so wurden die im Schloss wegen Lichtmangels schnell kümmernden Pflanzen laufend gegen frische ausgetauscht. Königin Anna von Großbritannien nutzte ihr 1704 erbautes Gewächshaus dagegen gleichzeitig schon als Speiseraum. In den lichten Räumen, inmitten mediterraner Flora, ließ die britische Monarchin sich gerne in Gedanken von London nach Italien versetzen.

Comtesse de Nicolay befindet sich mit ihrer geliebten Orangerie daher in bester Gesellschaft. Allerdings sind die finanziellen Mittel im Vergleich zu früher drastisch zusammengeschmolzen. So bewohnt Comtesse mit ihrer Familie nur noch Teile eines Flügels des mächtigen Loire-Schlosses. Zudem war sie gezwungen neue Geldquellen für den Unterhalt der alten Gemäuer aufzutun. So paarte sich ihr Unternehmergeist mit mit ihrer Gartenleidenschaft. Jedes Jahr findet daher im sommerlichen Park ein großes Festival statt, zu dem viele Gärtner und Aussteller aus der grünen Branche eingeladen sind. Auch die gräflichen Marmeladen und Gelees sind Teil dieses pfiffigen Marketingkonzepts. Sie werden im hauseigenen Laden von Le Lude angeboten. Jeder Besucher kann in ihren Genuss kommen, der in den Bann des märchenhaften Schlosses gerät.

Mehr Infos mit den Terminen der Gartenfeste im Schloss von Le Lude an der Loire unter:

www.lelude.com