24.03.2016

Wärmefalle: Von Ziegelmauern und Glashäusern

Günstiges Mikroklima: Fruchtmauern als Vorstufen der Gewächshäuser

Michael Breckwoldt

Als die berühmte britische Gartenbuchautorin und Gärtnerin Penelope Hobhouse mit 53 Jahren ein eigenes Anwesen im südenglischen Betiscombe kaufte, spielten bei der Wahl des Wohnortes zwei Dinge eine entscheidende Rolle: Zum einen der fantastische Ausblick in die Landschaft von Dorset mit ihren sanften Hügel, satten Wiesen und mächtigen Strauchgruppen, die sich im Herbst wunderschön verfärben. Diese Weitläufigkeit bot sich der Front des alten Kutscherhauses gegenüber. Auf dessen Rückseite jedoch befand sich ein fast quadratischer Hortus conclusus, ein von hohen Mauern eingepferchter Garten, für den sich die Britin mindestens ebenso sehr begeisterte wie für das Landschaftspanorama.

Verstehen können diese gegensätzlichen Empfindungen vor allem Menschen, die wie die Autorin selbst tief im Reich der Pflanzen verwurzelt sind, die wissen, welche phänomenalen gärtnerischen Perspektiven zusätzliche Wärmegrade ermöglichen. Träumen wir Westeuropäer nicht alle ein wenig von mediterranen Verhältnissen? Und genau diese eröffneten sich dieser knapp 300 Quadratmeter großen Fläche. Denn die annähernd drei Meter hohen Mauern fungieren in zweifacher Hinsicht als Wärmefalle. Sie halten den Wind fern, so dass sich die Wärme staut. Zudem speichern die dunklen Ziegel die Hitze der Sonne, die dann von ihnen bis weit in die Abendstunden hinein abgestrahlt wird. Der Temperaturunterschied zwischen dem Hortus conclusus und der Umgebung kann bis zu 10 Grad Celsius betragen. Penelope Hophouse nutzt dieses vorzügliche Mikroklima durch eine mediterrane Bepflanzung, deren Vertreter wir nur als Kübelpflanzen von sommerlichen Terrassen oder aus Gewächshäusern kennen wie etwa Lorbeerbäume (Laurus nobilis) und Jasminblütiger Nachtschatten (Solanum jasminoides). Lavendel, Rosmarin und Brandkraut, die sie teils als Steckling aus Griechenland mitgebracht hat, haben sich dort ebenfalls erfolgreich etabliert.

Was Penelope Hophouse zu ihrem Vergnügen betreibt, haben Generationen vor ihr aus einer Notwendigkeit heraus entwickelt, um empfindliche Obstarten im rauen mitteleuropäischen Klima zu kultivieren. Schon 1561 beschreibt der Schweizer Botaniker Conrad Gessner den Einfluss sonnenwarmer Wände auf die Reife von Feigen und Johannisbeeren. Seine Beobachtungen führen zum Bau spezieller Fruchtmauern in der Periode der sogenannten kleinen Eiszeit zwischen 1550 und 1850. Ein dezenter Überstand aus Schindeln oder Dachziegeln schützt die Früchte stellenweise sogar vor Regen und Hagel. Die Barockgärtner am Hofe Ludwig XIV. entwickeln schließlich spezielle Schnitttechniken, mit denen die Fruchtbäume schmal gehalten werden können. So entsteht das Spalierobst, das von Rankgerüsten gestützt dicht an den Mauern wächst.

Etwa 60 Kilometer südlich von Paris entwickelt sich um 1730 herum in der Gemeinde Thomery ein Weinanbaugebiet. Dessen Besonderheit besteht in dem mehr als 300 Kilometer langen Mauersystem, das den Reben Schutz und klimatisch äußerst günstige Bedingungen bietet. Unter ähnlichen Voraussetzungen werden auch in Belgien und den Niederlanden Tafeltrauben angebaut. In Westholland, der Region mit den heutzutage meisten Gewächshäusern, besteht um 1881 immerhin ein Mauersystem von insgesamt 178 km Länge, das zudem einige Besonderheiten aufweist. So hatten sich holländische Ingenieure Mauerformen einfallen lassen, die sich in Schlangenlinien durch die Landschaft ziehen. Ihr Vorteil: Statisch bieten sie mehr Stabilität, so dass das Mauerprofil sehr viel schlanker gebaut werden kann. Zusätzlich sorgen die entstehenden Nischen für ein besonders kuscheliges Klima. Auf den britischen Inseln, die eher einmal mit klammem Klima zu kämpfen haben, geht man auf Nummer sicher. Dort werden Rohre in die Mauern eingefügt, die mit heißem Wasser geflutet zu Heizkörpern werden können.

Das Interesse an den Fruchtmauern geht mit dem Aufkommen der Eisenbahn Ende des 19. Jahrhunderts verloren. Das neue Transportsystem kann die Früchte schnell aus südlichen Ländern herbeischaffen. Zudem hatte man zeitgemäße Möglichkeiten geschaffen, empfindliche Obst- und Gemüsearten klimatisch zu begünstigen: mit Hilfe von Glasfenstern. Glas lässt sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts in größeren Formaten auch industriell herstellen. Anfangs lehnte man noch große Glasfenster schräg an die Wände, dann baut man halbe Gewächshäuser daran, schließlich entstehen reine Glashäuser. Die Mauern hatten als Wärmefalle ausgedient.

Mehr zur Geschichte der Fruchtmauern unter: www.resilience.org