15.05.2013

Warum es sich lohnt einfach einmal die Augen zu schließen und tief durchzuatmen

Stressabbau durch den Geruch des Grases, Gelassenheit als Gärtnertugend und Abendstunden im Gewächshaus

Michael Breckwoldt

Vor einiger Zeit machte Nickolas Lavidis von der Universität Queensland eine erstaunliche Entdeckung: Der Geruch von frisch geschnittenem Gras wirkt Stress entgegen. Das berichtete die australische Tageszeitung The Australian in ihrer Online-Ausgabe. Der Professor für Biomedizin setzte Ratten und Mäusen in einer Langzeitstudie unter ähnlichen chronischen Stress, wie ihn Menschen bei erschöpfender Arbeit erleben. Im Hippocampus der Tiere, einem Teil des Gehirns, machte sich die Dauerüberlastung durch Schrumpfen und damit verbundenen Funktionsstörungen von Nervenzellen bemerkbar. Doch, oh Wunder: Als man die gebeutelten Nager mit Essenzen frischen Grases benebelte, blieben die Störungen im Hirn aus. Auch 67 Studenten machten den Selbsttest: Sie stellten fest, dass ein „Eau de Grass", extrahiert aus den Duftnoten des Grasschnitts, sich in Examenssituationen positiv auswirkte.

Eine Stunde Rasenmähen sollte lahme Geister also gehörig aufputschen. So wie die Gartenarbeit insgesamt - vor allem jetzt im Frühling. Die Natur ist hellwach, wenn die Löwenzahnblüten die Wiesen gelb sprenkeln. Wenn Amseln, Drosseln, Finken und die ganze Vogelschar aus vollen Kehlen das Brautgeschäft betreiben und frisch sprießendes Grün die Luft mit Wohlgerüchen erfüllt. Diese Energie ist mit allen Sinnen spürbar.

Zu den fundamentalen Lebensbedürfnissen des Menschen zählt der 1937 geborene Philosoph Gernot Böhme nicht nur den Wunsch nach einer schönen gestalteten Umgebung, sondern ebenso „das Bedürfnis nach Natur: nämlich dass da etwas ist, was von selbst da ist und ihn durch sein selbsttätiges Dasein berührt. Der Mensch hat ein tiefes Bedürfnis nach dem anderen seiner selbst. Er will nicht in einer Welt leben, in der er nur sich selbst begegnet."

Der Frühling ist wohl die Jahreszeit, in der man diese Gedanken am stärksten nachempfinden kann. Und in einem Garten werden sie einem tagtäglich offenbar. Denn dort gibt es keine Termine, keine getakteten Regelkreise und keine inneren Zwänge, sondern nur den großen Rhythmus der Natur. Dieser tickt nach ureigenen Regeln. Ein gelbes Blatt ist wie ein graues Haar, es ist Teil eines natürlichen Kreislaufs und es ist sinnlos, sich gegen diesen zu stemmen. Lassen wir uns also einfach darauf ein, setzen uns nicht unter Druck, tauchen zwischen Sprießen und Welken in diese andere Zeitrechnung ein und lassen einfach einmal los.

Die erste Gärtnerregel lautet Gelassenheit. Nicht ohne Grund zeichnet richtige Grünfinger stoische Ruhe aus. Sie besitzen ein verblüffendes Vertrauen in die Abläufe der Natur. Wissen sie doch, dass sie diese höchstens im Kleinen und nur vorübergehend beeinflussen können, etwa wenn sie stellenweise Wildkraut herauszupfen oder Äste abschneiden. Ruhen diese Arbeiten, sind die Eingriffe in null Komma nichts Makulatur, verschwunden unter schnell sprießendem neuem Bewuchs. Die Fruchtbarkeit und Kraft der Natur sind unerschöpflich.

Auch die Abfolge der Jahreszeiten ist ein unaufhaltsamer Prozess. Aber: Wann genau die erste Frühlingsfrische kommt, wann die ersten Schwalben oder Rosenblüten erscheinen, das steht in keinem Kalender. Nie gleicht ein Jahr dem anderen, schon gar nicht im Garten - kein Grund zum Verzweifeln, eher einer zum Staunen und zum genauen Hinschauen. Oder eben ein Grund, einfach einmal die Augen zu schließen und einem anderen Sinnesorgan zu folgen - nämlich der Nase.

Eine befreundete Gärtnerin hat sich zusammen mit ihrem Mann einen Kräutergarten geschaffen mit den vorzüglichsten Aromapflanzen. Neben Orangen-, Zitronen- und Kümmelthymian betören dort Rosmarin, Lavendel, Heiligenblume, Currykraut, Pfefferminze und Ananas-Salbei mit ihren würzigen Düften. Das Besondere an dieser Anlage: Gebäude umgeben sie an drei Seiten und geben ihr Schutz. Das schafft für die mediterranen Kräuter ein optimales Klima. An warmen Sommerabenden ist dieser Raum erfüllt von Wohlgerüchen. Dann sitzt das Ehepaar dort gemeinsam auf einer Bank. Sie nippen an einem Glas Wein, schließen die Augen und genießen den Augenblick.

Glücklich kann sich schätzen, wer öfter in den Genuss solch lauer Sommerabende kommt. Davon haben wir hier im Norden Deutschlands leider viel zu wenige. Der ideale Ort wäre daher ein Gewächshaus. Dort hält sich die Wärme bis in die Abendstunden, mediterrane Pflanzen entwickeln sich prächtig und ebenso deren leicht flüchtigen ätherischen Öle - die richtige Umgebung also, um einen Tag entspannt ausklingen zu lassen. Die Sinne werden angeregt, der Geist hingegen kommt ganz schnell zur Ruhe.