30.07.2013

Kochen nach Farben: Ein Gourmet entdeckt das Gemüse

Was Alain Passard (Arpège) an verschiedenfarbigen Roten Bete und alten Tomaten-Sorten schätzt – und über ein Gewächshaus als Regenschutz

Michael Breckwoldt

Alain Passard ist Koch. Aber nicht irgendeiner: Passard steht ganz oben im Olymp der Weißmützen. Sein Restaurant Arpège im noblen Pariser Invalidenviertel am linken Seine-Ufer bekam vom Guide Michelin schon 1996 drei Sterne verliehen. Mit drei Sternen ist man nicht mehr bloß Koch, sondern Besessener, Pedant, Grenzgänger, Zauberer - mit einem Wort: Künstler. Auf den 53-jährigen Passard, der zweimal in Japan beim Iron-Chef, einer Art World Championship seiner Zunft antrat, trifft das noch eher zu als auf andere. Vor acht Jahren hatte er keine Lust mehr auf Fleisch. „Es hat mich nicht mehr inspiriert", sagt der große Bretone mit den neugierigen blauen Augen. Er wandte sich den Genüssen des Gartens zu. Ihn faszinierten nicht nur das feine Aroma, sondern ebenso die Farben von Gemüsesorten und essbaren Blüten. Von nun an kreierte der Franzose nicht nur vorzügliche Gerichte, sondern kleine Gemälde auf den Tellern. Sein Credo: „Das Kochen nach Farben eröffnet Geschmacksräume."

Keine Frage, das Rot der Roten Bete steht auf der Farbpalette von Passard ganz oben. Ihr intensiv dunkler Ton sieht aus, als wäre eine Prise Mutterboden hineingemischt, wie auch in den leicht erdigen Geschmack dieses Gemüses. Es ist eine Farbe, rau, erhaben und expressiv wie ein Orgelton. Doch Passard, der Seismograf geschmacklicher Nuancen, liebt nicht nur starke Effekte, sondern vor allem auch die Zwischentöne.

Er wollte aus der gesamten Palette des Gemüsesortiments schöpfen. Diese Vielfalt gab es nirgends auf dem Markt zu kaufen. Deshalb investierte er in ein Landgut bei Le Mans im Tal der Sarthe und ließ sein Gemüse von eigenen Gärtnern heranziehen. Er fahndete nach vergessenen Schätzen und ließ deren aromatische Tauglichkeit von seinen Köchen testen. Dutzende alter Tomatensorten fanden so den Weg zurück in die Küche - und eben auch einige Varianten der Roten Bete, die alles andere als rot waren.

Überraschenderweise wuchsen diese gar nicht alle im gewöhnlichen Burgundrot. Passards Sinne als malender Koch waren begeistert: Etwa von der alten französischen Sorte „Crapaudine", deren lange spitze Rübe im Querschnitt rot-weiß geringelt ist. Mit einem milden Geschmack überrascht „Burpees Golden", eine Sorte mit gelbem Fruchtfleisch. Für die rote Farbe und den kräftigen Geschmack sind Betalaine verantwortlich, stickstoffhaltige aromatische Verbindungen. Das Gelbpigment hingegen ist frei von Stickstoff. Passard entdeckte sogar eine weiße Form der Roten Bete, die in Indien zum Beispiel alltäglich ist. Gehandelt wird in unseren Breiten die Sorte „Albina Vereduna", deren Fruchtfleisch ausgesprochen süß schmeckt. Solche alten Sorten sind in Deutschland heute wieder bei Spezialanbietern, etwa der Firma Dreschflegel aus Witzenhausen, im Angebot (www.dreschflegel-saatgut.de)

Für die Tomaten ließ Passard am Rande der Äcker ein Glashaus errichten, weniger der Wärme wegen, sondern vor allem um die nässeempfindlichen Pflanzen vor Regen zu schützen. „Wir forschen immer wieder nach vergessenen, musealen Sorten, sagt Passard. Von mehr als 2000 existierenden Tomatensorten werden nur etwa 100 genutzt. Der überwiegende Teil davon sind moderne Hochleistungshybriden. Das außergewöhnliche Aroma fast vergessener Varietäten muss also erst wieder entdeckt werden. In dem Gewächshaus stehen daher viele Tomatenpflanzen mit eigenem Etikette, ein Zeichen dafür, dass diese gerade unter besonderer Beobachtung sind. Jedes Jahr werden zusätzlich zu den rund 50 Sorten, die das Arpège ohnehin braucht, zusätzlich rund zwei Dutzend probeweise angebaut. Diese werden dann auf Stich- und Pürierfähigkeit sowie Koch- und Grilleigenschaften getestet - und natürlich auf Geschmack. Alain Passard nennt die Begegnung mit dem Gemüse eine „Amour fou". Man glaubt es ihm sofort, wenn man allein die Farben- und Formenvielfalt der Tomaten vor sich hat. Ihre Malpalette ist noch vielseitiger als die der Roten Bete. Man denke nur an die vielen Rottöne. Ein Tomaten-Carpaccio aus der gelb-orangefarbenen Sorte ´Ananas', der roten ´Ochsenherz', der grünen ´Evergreen' und der weißen ´Beauté Blanche' ist daher allein zum Anschauen schon ein Hochgenuss.

Mehr zu Alain Passard, seinem Restaurant Arpège und dem von ihm initiierten Gemüseanbau unter www.alain-passard.com