05.09.2012

Der königliche Selbstversorger

Förderung des Pflanzenwachstums durch Schutzmauern, Abdeckungen zur Wärmeerzeugung und Glashäuser schon zur Zeit Ludwig des XIV.

Michael Breckwoldt

Ackerland wird immer teurer - keine Frage. Doch kaum jemanden interessiert noch, was für köstliche Dinge, wir dem kostbaren Boden abgewinnen können. Um die weltweite Ressource an fruchtbaren Böden wird mittlerweile gestritten wie um die Lagerstätten wertvoller Rohstoffe. „Nahrungsmittel sind das neue Öl", sagte jüngst Lester Brown, Gründer des Washingtoner Earth Policy Institut. Leider geht es in diesem Gezerre nicht um den Wert von Lebensmitteln an sich, also darum, dem Grundbedürfnis nach gesunder Nahrung Rechnung zu tragen. Denn im Vordergrund steht vor allem das Profitinteresse von Spekulanten. Dass dies angesichts weltweit knapper Nahrungsmittelressourcen moralisch höchst bedenklich ist, steht außer Frage. Darüber hinaus offenbaren diese fehlgeleiteten Interessen einen tieferen Blick auf unser Verhältnis zu Lebensmitteln, die zu x-beliebigen Wirtschaftsgütern geworden sind.

Ob es sich um ehedem so edle Feldfrüchte wie Erdbeeren, Spargel und Erbsen oder so feines Obst wie Pfirsiche und Aprikosen handelt - wir sind gewohnt, alles reichlich und zu jeder Jahreszeit zu bekommen. Kaum einer weiß den Wert dieser landwirtschaftlichen bzw. gärtnerischen Erzeugnisse noch zu schätzen.

Das war nicht immer so. Einst waren diese Früchte der Erde erlesene Delikatessen, nach denen sich die mächtigsten Männer Europas die Finger leckten, so etwa der Sonnenkönig Ludwig XIV. Er hatte sich in Versailles eine prachtvoll barocke Parkanlage bauen lassen, mit allem drum und dran: monumentalen Kanälen, fantastischen Springbrunnen und weitläufigen Beeten, die von ausgeklügeltes Blütenteppichen überzogen wurden. Der französische Herrscher unterwarf die Natur dem strengen Ordnungssystem seiner Macht. Wie ein Spinnennetz breiteten sich Wege über das ganze Land aus, ausgehend vom Schloss mit einer fast zehn Kilometer langen Hauptachse. Parallel und senkrecht dazu verliefen diverse Nebenachsen. Das zunächst rechtwinklige Raster, fächerte sich später sternförmig auf und verlor sich im Horizont. Aus den gepflegten Flaniermeilen im Garten wurden Reitwege, Waldwege und Landstraßen. So war die Macht des Königs zumindest symbolisch im ganzen Reich präsent.

Anderer Mittel bedurfte es, um die kulinarischen Extravaganzen Ludwigs zu befriedigen. Auf Erdbeeren und Spargel sowie die geliebten Feigen und Birnen wollte er nicht ein ganzes halbes Jahr oder länger warten müssen. Doch tausende Arbeitskräfte waren machtlos, wenn es darum ging, die Natur der Nutzpflanzen zu überlisten. Dazu bedurfte es eines klugen Kopfes und hellwachen Geistes, wie dem des Jean-Baptiste de la Quintinye. Von Haus aus war er studierter Jurist und Hofbeamter. Doch sein Interesse galt vor allem den verborgenen Kräften der Natur. Was lässt Pflanzen wachsen, blühen und Früchte tragen und wie kann der Gärtner diese Vorgänge beeinflussen? La Quintinye ging diesen Fragen mit solch wissenschaftlichem Eifer nach, dass Ludwig XIV. ihn zum Direktor der königlichen Obst- und Gemüsegärten machte. 1678 entwarf er für den König einen neuen Potager, dem meterhohe Mauern ein günstiges Mikroklima verschafften. Hier wurden Mittel und Techniken erprobt, um die Früchte der Erde schon erheblich früher als gewohnt ernten zu können. Im Januar schmückte schon der erste Kopfsalat die Tafel des Königs, im März folgten Erdbeeren und Spargel. Der Hof staunte nicht schlecht und glaubte, der König könne jetzt schon über Wetter und Jahreszeiten gebieten. Dabei handelte es sich um sehr irdische Kräfte: Ausgehobene Beete wurden zunächst mit Blättern und Mist gestopft und dann mit etwas Erde bedeckt. Wie im Inneren eines Komposthaufens entwickelte sich Wärme, die das Pflanzenwachstum beschleunigte. Ab 1685 stellte dann eine nahe gelegene Manufaktur große Flachgläser her, die zu ersten primitiven Gewächshäusern zusammengesetzt wurden. In diesen Glashäusern hielt sich die Bodenwärme noch besser und zusätzlich heizte die Sonne ein.

Für die Überwinterung der Feigen wurden spezielle Glaskästen errichtet, so dass die Ernte auf sechs Monate im Jahr ausgedehnt werden konnte. Das Obst wurde durch gezielte Schnitttechniken an Spalieren direkt im Schutz der Mauern gezogen. Der König war so begeistert von den Erfolgen seines Gartendirektors, dass er sich von ihm höchstselbst in die Kunst des Schneidens und Pfropfens einweihen ließ.

Fraglos war Ludwig XIV eine Art adliger Selbstversorger - und zumindest im Geiste auch ein Bruder dessen, was heute weltweit unter dem Begriff Slow Food kursiert. Im Norden Deutschlands ist „Feinheimisch - Genuss aus Schleswig Holstein e.V." dafür ein gutes Beispiel. „Wir Mitglieder des Vereins verstehen uns als Bewahrer und Förderer einer genussvollen, nachhaltigen und regional geprägten Esskultur", heißt es in den Grundsätzen des Vereins (www.feinheimisch.de). Diese lassen sich nur in enger Zusammenarbeit mit Landwirten, Gärtnern und Lebensmittelproduzenten vor Ort realisieren. So bleibt der Boden in Obhut regionaler Erzeuger, deren Interesse es ist, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel hervorzubringen - ein guter Weg, wie ich finde, um die Bodenhaftung nicht zu verlieren.

(Einkaufsadressen für den gesamten norddeutschen Raum findet man unter www.nordschmecker.de).