30.07.2012
Eine gläserne Arche im Herzen von East Sussex
Gemüse im Gewächshaus ziehen - auf Sarah Ravens 'Perch Hill Farm', inspiriert von Gert Jan Hagemans Restaurant 'De Kas'
Regelmäßig kommen Hiobsbotschaften aus der Landwirtschaft. Meist haben sie mit der Tiermast zu tun. Kürzlich war es wieder so weit. „Bislang ging man in Schätzungen von bundesweit etwa 780 Tonnen Antibiotika aus, die jedes Jahr in der Tierhaltung verabreicht werden. Jetzt gehen wir davon aus, dass die tatsächlich eingesetzte Menge noch höher ist“, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Schlimm genug, dass auf diesem Weg belastetes Fleisch in den Handel kommt. Doch der umstrittene Einsatz der Medikamente hat noch weitreichendere Folgen. Rückstände können über die Ausscheidungen der Tiere in den Boden und die Gewässer gelangen. Durchaus denkbar, dass so auch Nutzpflanzen mit Spuren von Antibiotika belastet werden.
Angesichts solch niederschmetternder Meldungen, wünschen sich zunehmend mehr Menschen Kontrolle über die eigenen Nahrungsmittel – so auch der niederländische Koch Gert Jan Hageman.1993 hatte er als Chef des Restaurants Vermeer in Amsterdam einen Michelin Stern errungen. Ein weiterer reizte ihn nicht. Er suchte vielmehr nach neuen Herausforderungen und nahm sich dafür eine Auszeit. Schließlich eröffnete 2001 ein eigenes Restaurant in einem acht Meter hohen Gewächshaus. Zwischenzeitlich war aus dem Sternkoch zudem ein Gärtner geworden. Und das Restaurant ist gleichzeitig ein Ort, an dem die Gäste das Grünzeug bewundern können, das in der Küche verarbeitet wird.
Denn Hageman hatte sich ein durch und durch gläsernes Konzept erdacht: Der moderne Gastraum war nur durch Scheiben von der Küche und den Beeten mit Tomaten, Gurken, Paprika, Auberginen und anderen wärmeliebenden Arten getrennt. Um das Glashaus herum erstrecken sich weitere Flächen mit diversen Gemüsekulturen und all jenen aromatischen Kräutern, die den anspruchsvollen Gaumen erfreuen. Jedes Jahr pilgern tausende Gäste in das außergewöhnliche, südöstlich vom Amsterdamer Stadtzentrums gelegene Restaurant, das schlicht De Kas, übersetzt, „das Gewächshaus“, heißt (Infos unter: www.restaurantdekas.nl ).
Auch die Britin Sarah Raven kam vor einigen Jahren in den Genuss der erntefrischen Küchenkreationen im De Kas – und das war sicher kein Zufall. In ihrem Land genießt sie als Gärtnerin, Köchin, Kolumnistin und Autorin einen gewissen Ruhm. Denn auch Raven setzt ganz auf das Verarbeiten selbst gezogenen Gemüses zu leckeren Gerichten. Vor sechs Jahren wurde sie für ihr Buch „The Great Vegetable Plot“, ausgezeichnet. „Das Grünzeug soll mir wenig Arbeit machen und dennoch möchte ich viel ernten“, so ihr Credo.
Wer das Glück hat Sarah Ravens grünes Imperium Perch Hill Farm zu besuchen, trifft dort auf den wilden Charme eines typisch britischen Cottagegartens. Eine breite Zufahrt führt hinauf zum Landhaus, flankiert von Wiesenstreifen, Obstbäumen, geschnittenen Hecken und mannshohen Fingerhüten, die ihre Blütenkerzen in puderigen Farben gen Himmel recken. Folgt man dem ansteigenden Weg, der sich um den Hügel windet, blitzt schließlich von der Anhöhe ein Gewächshaus in der Sonne, wie eine gläsernde Arche. Verschiedene Salate und Sommerblumen geben dem darunter liegenden Hang ein buntes Streifenmuster. Über einen schmalen Grasweg gelangt man durch zwei Schiebetüren ins Innere. Dort fällt die Zweiteilung auf: Die eine Hälfte unter dem Glasdach ist Tomaten, Paprika, Zucchini, Basilikum, Kapuzinerkresse und Duftwicken vorbehalten. Auf der anderen Seite stehen große Holztische auf massiven Dielen und eine Reihe von Kübelpflanzen, darunter eine Sammlung von Duftpelargonien. Die Räumlichkeit bildet das Herz einer kleinen Koch- und Gartenschule, in der rund um das Jahr Kurse angeboten werden (http://www.sarahraven.com).
Natürlich hat mich De Kas zu dieser Ausstattung inspiriert“, gesteht Sarah Raven. Wer Lust an selbst gezogenem Gemüse hat, kommt ohnehin über kurz oder lang nicht an einem eigenen Glashaus vorbei. Der Britin hat vor allem die Vorstellung gefallen, einen wohnlichen Sitzbereich unmittelbar an die bepflanzten Beete grenzen zu lassen. Die Kursteilnehmer haben die geschmacklichen Angebote somit direkt vor den Augen. Fantastisch ist der Blick vom Esstisch aus: Nichts als Wiesen und die Weite der hügelige Landschaft von East Sussex.
Als wir in diesem Sommer dort waren, tischte Sarah übrigens einen frischen Salat und mit Ziegenkäse und Pinienkernen gefüllte Zucchiniblüten auf – alles garantiert frei von Antibiotika.