12.01.2015

Jede will die Schnellste sein

Schneeglöckchen – die gern gesehenen ersten Frühblüher sind bei Sammlern auch Objekte der Begierde

Michael Breckwoldt

Jedes Jahr können Sie Zeuge eines kleinen Wettkampfes werden, der das Warten auf den Frühling kurzweilig macht. Es geht um die Zwiebelblumen im Boden und darum, wessen Blüte als erstes aus der Tiefe auftaucht. Für uns Wartenden ist dieser Moment eine Freude, weil das Wintergrau nun durch Farben aufgehellt wird. Gewöhnlich liefern sich Schneeglöckchen und Winterlinge ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Ihre Blüten durchbrechen die Krume meist schon im Januar. In Siegerpose schnellen sie empor. Doch die kurzen Stängel erlauben keinen Überblick. Zu dumm. Für den Wettkampf gut gerüstet sind nämlich auch Leberblümchen, Frühlings-Iris und Buschwindröschen. Unter einer Laubschicht mollig verpackt, treiben sie ebenfalls früh aus. Haben sie die Nase vorn? Nein. Denn im Grunde entscheidet schon der genetische Kode darüber, wann welches Blütenpaket an den Start geht. Das Signal erfolgt, wenn sich die Plus-Temperaturen zu einem bestimmten Wert summiert haben. Demnach sind die Schneeglöckchen von Natur aus klar bevorzugt. Sollte doch einmal das Gelb eines Winterlings als erstes erstrahlen, so ist es nicht ganz mit lauteren Mitteln zugegangen. Dann hat ihnen der Schutz einer Hecke oder Mauer, ein wohliger Platz an der Sonne, im Gewächshaus oder ein sich schnell erwärmender Sandboden einen Vorteil verschafft. Unter gleichen Bedingungen müssen die Schneeglöckchen als Sieger gekürt werden. Daher nehmen wir sie einmal etwas genauer in Augenschein.

Mal sind sie Einzelkämpfer gegen die Tristesse des Winters, mal treten sie in Horden auf. Aber da sie so zart und klein sind und darum immer etwas verloren wirken, werden Schneeglöckchen meist freundlich belächelt - was soll man den niedlichen Dingern schon zutrauen. Glücklich kann sich jedoch schätzen, bei wem sich die Vorfrühlingsblüher im Garten angesiedelt haben und sich mit ihren weißen Blütenperlen alljährlich ab Januar tausendfach zu einem mächtigen Teppich ausbreiten. Denn das ist mitunter schwierig, weil die Knollen, die im Herbst angeboten werden, oft schon vertrocknet sind. Die Zwiebeln werden besser im Frühjahr nach der Blüte verpflanzt. Ein leicht schattiger Standort unter Laubbäumen ist ideal. Verbreitet ist das heimische Schneeglöckchen Galanthus nivalis - und von denen sieht doch eines wie das andere aus, oder?

Ihrem zarten Charme nähert man sich am besten demutsvoll - indem man sich tief zu ihnen herabbeugt, wie es die Briten gerne tun. In England grassiert schon seit Jahren ein richtiger Hype um diese reizenden Pflänzchen. Regelmäßig im Spätwinter trifft sich die Upperclass auf einem der vornehmen britischen Landgüter zu legendären „Snowdrop Partys". Die Nase stilvoll dicht am Boden delektieren sich die Herrschaften an den schrillsten Sorten. Erst aus dieser Perspektive offenbart sich nämlich, dass fast jedes Schneeglöckchen ein eigenes Muster ziert. Sie sind eben nicht nur weiß. Es gibt sie getupft, gepunktet und mit farbigen Kappen. Sie sehen aus, als wären sie von Miniaturmalern angepinselt worden, manchmal mit originellen Motiven wie bei der Sorte „Scissors" und „Narrengesicht". Etwa 700 verschiedene Sorten des winzigen Frühblühers sind mittlerweile im Umlauf. Viele stammen vom heimischen Schneeglöckchen ab. Doch dank der Sammelleidenschaft sind viele neue Arten hinzugekommen.

Solche Raritäten werden natürlich nur stückweise gehandelt. So ist eine haselnussgroße Knolle der Sorte „South Hayes", die ein lupenreines Ausrufezeichen auf den äußeren Blütenblättern trägt, gut und gerne 30 Pfund (etwa 40 Euro) wert. Noch seltenere Knollen sollen sogar für ein Vielfaches den Besitzer gewechselt haben. Für das gleiche Geld versorgt man den eigenen Garten üppig mit Zwiebeln des einfachen Schneeglöckchens Galanthus nivalis. Und mit Glück findet man dort auch bald eine reizvolle Variante von Sammlerqualität. Denn die „Schneeglöckchensehnsucht" hat inzwischen auch weite Teile des kontinentalen Europas erfasst. Voraussetzung für solch einen Glücksfund ist natürlich immer: ein Kniefall und das genaue Betrachten der vermeintlich weißen Blütenhäuptchen.