31.05.2016

Verwirrung um die schöne Geranie

Storchschnabel, Pelargonium und Geranium: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Michael Breckwoldt

Die unangefochtene Nummer eins unter den Sommerblumen ist die Geranie. Jahr für Jahr belegen dies Statistiken. Doch kaum einer dürfte wissen, dass Geranien gar nicht das sind, was man gemeinhin dafür hält. Wer bei Google den Begriff „Geranie“ eingibt, landet auf Wikipedia beim Stichwort „Pelargonien“ – und dann heißt es: „Die Pelargonien (Pelargonium), als Trivialname wird auch oft ‚Geranien’ verwendet, sind eine Pflanzengattung in der Familie der Storchschnabelgewächse (Geraniaceae). Der botanische Gattungsname ist aus dem griechischen Wort pélargos für ‚Storch’ abgeleitet und bezieht sich auf die Form der Früchte. Zu dieser Gattung zählen etwa 220 bis 280 Arten.“

Diese typische Balkonpflanze wird also nur umgangssprachlich als Geranie bezeichnen, botanisch richtig heißt sie Pelargonie. Schuld an dieser Verwirrung ist der große schwedische Botaniker Carl von Linné (1707–1778), dem wir einen Großteil der wissenschaftlichen Pflanzennamen verdanken. Er ordnete unsere Balkonblume, die aus Südafrika stammt, der Gattung Geranium zu. Der Volksmund nahm den Namen schnell auf und hält bis heute hartnäckig daran fest, obgleich 1789, also schon wenige Jahrzehnte später, der französische Botaniker Charles Louis L’Héritier de Brutelle die Pflanze der Gattung Pelargonium zuwies.

Beide Gattungen sind eng verwandt und gehören der gleichen Pflanzenfamilie an. Charakteristisch für Geranien wie Pelargonien sind deren lange, schnabelförmige Früchte. Darüber hinaus gibt es zwischen den Gattungen jedoch deutliche Unterschiede im Blütenaufbau. Eines der Kelchblätter der Pelargonien bildet einen Sporn, der mit dem Blütenstiel verwachsen ist. Dadurch entsteht eine sogenannte zygomorphe Blüte, eine Blüte also, die zwei spiegelgleiche Hälften und damit eine einzige Symmetrieebene besitzt. Dies ist bei Geranienblüten nicht so. Bemerkenswert ist auch die Art der Ausbreitung. Geranien können ihren Samen explosionsartig wegschleudern. Möglich wird es dadurch, dass deren trockene Fürchte sich zusammenziehen und plötzlich mit einer korkenzieherartigen Bewegung aufplatzen. Die Wucht kann den Samen in die Erde oder auch in das Fell eines zufällig vorbeikommenden Tieres bohren. Angesichts dieser Ballistik können Pelargonien nur neidisch werden.

Diese feinen Unterschiede hatte der Systematiker Linné offensichtlich übersehen. Schon seit 1561 waren allerdings der Blutrote Storchschnabel und der Braune Storchschnabel als Geranium unter den heimischen Gartengewächsen bekannt und mit ihnen viele weitere Arten, die zumeist wild vorkommen. Keine von ihnen hat es je zu einer Karriere als Balkonblume gebracht. Sie gelten eher als den Boden bedeckende Stauden, die sich unter Sträuchern oder in Steingärten breitmachen.

Pelargonien, die im Laufe des 17. Jahrhunderts nach Europa gelangten, wachsen in ihrer Heimat Südafrika zu stattlichen Sträuchern heran. In klimatisch begünstigten Gegenden Mitteleuropas kann dies auch passieren, wie im Garten von John Michael Beaumont und seiner Frau Diana auf der Kanalinsel Sark, eine Dreiviertelbootsstunde von Guernsey entfernt. Dort kriecht schon seit Jahren eine efeublättrige Pelargonie vor einem viktorianischen Gewächshaus die graue Natursteinmauer empor. Mittlerweile nimmt sie fast zehn Quadratmeter Fläche für sich in Anspruch. Bei uns ist diese Art als Hängepelargonie (Pelargonium peltatum) bekannt. Sie sorgt an bayrischen Balkonen Jahr für Jahr mit gut einen Meter langen Trieben für Furore. Die 1947 entstandene Sorte „Schöne von Grenchen“ hat maßgeblich zu dieser beispiellosen Karriere als Balkonblume beigetragen.

Auf eine noch viel längere Tradition kann die aufrecht wachsende Art Pelargonium zonale verweisen. Man erkennt sie an den halbkreisförmigen Streifen auf der Blattoberseite. Bis 1880 hatten Züchter schon mehr als 6.000 Sorten davon kreiert. Die in Berlin erscheinende Garten-Zeitung schreibt 1885 dazu: Die „Zonale- oder Scharlach-Pelargonien gehören unstreitig zu den dankbar blühendsten und beliebtesten Markt- und Modepflanzen, zur Topfkultur für Dekorationszwecke sowie zur Bepflanzung der Gruppen“. Vor mehr als 100 Jahren stand sie bei Blumenfreunden schon hoch im Kurs. Noch heute übertrifft kaum eine andere Sommerblume die Pelargonien an Blütenreichtum – Geranien können erst recht nicht mit ihnen konkurrieren. Ihre Blütezeit ist auf wenige Wochen begrenzt – zu kurz für den Balkon. Eine Ausnahme bildet nur die jüngst entdeckte himmelblaue Geranium Hybridsorte Rozanne.