27.04.2016

Küchengärten dürfen auch schön sein

Ästhetische Aspekte von Gemüsegärten und Gemüseanbau

Michael Breckwoldt

Möhren, Kohl und Zwiebeln sind in Reihen angeordnet. Es gibt nur ein bis zwei Hauptwege, die das Areal unterteilen, der eine in Nord­Süd­ und der andere in Ost­West­Richtung. Die Beete zur linken und rechten Seite werden im Winter umgegraben und jedes Jahr neu aufgeteilt. Zwischen den Gemüsereihen liegen schmale Trampelpfade, deren Verlauf sich alljährlich ändert.

So in etwa sieht der klassische Nutzgarten aus. An den Seiten und manchmal entlang der Wege wachsen Beerensträucher sowie andere Dauerkulturen, etwa Rhabarber oder mehrjährige Kräuter. In vielen Bauerngärten werden die Beete noch durch einige Reihen mit Sommerblumen ergänzt – auch dies ein durchaus nützlicher Aspekt. Die Bäuerin stellt aus ihnen Blumensträuße zusammen – für die eigene Wohnung oder auch zum Verkauf. Dennoch ist solch ein Garten überschaubar. In ihm lässt es sich gut ackern. Regeln der Ästhetik spielen keine Rolle. Schönheit entsteht eher zufällig. Dafür wird streng auf Fruchtfolgen geachtet.

Die Selbstversorgung war in vergangenen Zeiten nicht auf das Landleben beschränkt. Auch an den Höfen der Adligen spielte sie eine große Rolle. Die Fürsten engagierten eigene Küchengärtner, die neben Köchen und Mundschenken für das leibliche Wohl der adligen Gesellschaft verantwortlich waren. Unter Louis XIV diente Jean­Baptiste de La Quintinie am Hof von Versailles. Er bewirtschaftete einen zwölfeinhalb Fußballfelder großen Küchengarten, einen sogenannten Potager, den er zwischen 1678 und 1683 entworfen hatte. „Die allgemeine Aufteilung des Ganzen ... ist so konzipiert, dass sie sich klimatisch möglichst günstig auf die Produktion auswirkte. Verschiedene Kulturmethoden und Techniken wurden hier erfunden und perfektioniert, um Frühgemüse und Ernten außerhalb der Saison zu produzieren“, schreibt der Gartenhistoriker Pierre­André Lablaude.

Die Küchengärten von Versailles lagen abseits der prachtvollen Anlagen. Die praktischen Aspekte standen im Vordergrund. Doch das war nicht immer der Fall. Rund 150 Jahre vor der Selbstherrlichkeit der Barockzeit entstand in Villandry im Tal der Loire, rund 15 Kilometer westlich von Tours, eine außergewöhnliche Renaissanceanlage. Sie wurde letzten Jahrhundert samt Gärten rekonstruiert und ist noch heute zu besichtigen. Die Hauptattraktion dort sind die Gemüsebeete. Sie ziehen jährlich mehr als 200.000 Besucher an. Ihre Reize bestehen darin, dass sie nach den Gesetzen von Symmetrie, Proportion und Perspektive entworfen wurden, die für die Baumeister der Renaissance maßgeblich waren. Für den Autor Wolfgang Eisenbarth kennzeichnet diese „neue“ Zeit den „Übergang des reinen Nutzgartens des Mittelalters hin zum architektonisch gestalteten und ästhetisch geformten ‚Gesamtkunstwerk’“. Während die Mönche nur den Nährwert und die Heilwirkung der Pflanzen im Blick hatten, interessierten sich die Menschen der Renaissance für deren Schönheit. In Villandry führen das die Gemüsepflanzungen par exellence vor.

Neun, gleich große Karrees gliedern den quadratischen, etwa 12.500 Quadratmeter großen Küchengarten. Im Zentrum befindet sich jeweils ein Brunnen. Spaliere sowie Apfel­ und Birnenbäumen grenzen die Hauptwege ab. Die einzelnen Beete sind jeweils von Buchshecken gesäumt, zwischen denen Sandwege helle Linien ziehen. Vom Schloss aus erscheint alles wie ein formales Mosaik unterschiedlicher Grüntöne. Die Beete sind mindestens zu Dreiviertel mit Gemüse bepflanzt. Ein stumpfes Violettgrün markiert die Reihen mit Rotkohl; frisch hellgrün leuchten die Felder mit Stielmangold und der Toskanische Palmkohl wirft graugrüne Schatten. Ein Saum aus Sommerblumen rahmt jedes Karree farbig ein. Zweimal im Jahr wird die Bepflanzung erneuert. Nach dem typischen Frühjahrsgemüse, also Radieschen, Erbsen, Bohnen und Eichblattsalaten, folgen im Sommer Mangold, Kürbisse, Tomaten, Karotten, Paprika, Lauch und verschiedene Kohlarten. Nicht jedoch das Nützliche sondern die Schönheit steht in den Gemüsegärten von Villandry im Vordergrund – und dieses Beispiel hat Schule gemacht, vor allem seit das Interesse an frischem Gemüse aus dem eigenen Garten auch heutzutage wieder eine zunehmend größere Rolle spielt.

Es müssen im Beet eben nicht nur Männertreu und Fleißige Lieschen wachsen. Die neuen Nutzgärtner pflanzen Feldsalat statt Feuersalbei und setzen Rauke zu Ringelblumen. Das erfreut Augen und Gaumen zugleich. Salate, Kohl, Mangold und Basilikum sind nicht nur lecker, sondern auch ziemlich dekorativ. Um die Pracht nicht sogleich zu zerstören, erntet man zu Saisonbeginn nur die äußeren Blätter. Bevor das letzte Blattgrün verbraucht ist, zieht man, am besten im eigenen Gewächshaus, Nachschub in Töpfen heran, um die entstehenden Lücken in den Beeten zu stopfen.

Die Grenzen im Garten verschieben sich: Gemüse wird zur Zierde und die Blätter der Blüten dienen auch als Nahrung. Ringelblumen und Kapuzinerkresse dekorieren nicht nur einen Salat, sie können ebenfalls mitgegessen werden. So paart sich Schönheit mit Nützlichkeit und Ordnung mit Ästhetik.